Risikokapital Künstler?

Musikdialog Hamburg 2016 – Hamburgs interner Auftackt zum Reeperbahnfestival im Rahmen des Mediendialogs der Hansestadt, für den ich um ein paar einführende Worte gebeten wurde:

Die Veränderungsprozesse der Künstlerentwicklung habe ich mir zum Thema gemacht. Nicht um die angeblich ‚guten alten Zeiten‘ beschwören zu wollen, sondern um aufzuzeigen vor welchen Herausforderungen Künstler und Musikwirtschaft heute stehen.

Selbst stamme ich ja aus einer Zeit, in der meine Band sich die Studioproduktion dadurch refinanzieren konnte, das ein Album gepresst wurde welches wir von der Bühne weg verkauft haben. Der damals einzige Weg die Musik mit nach Hause nehmen zu können und damals auch eine gute Gelegenheit, einem Talentscout zu begegnen. Ein Musikverlag besprach mit uns die Songs, lud uns in sein Studio ein und belieferte die Labels mit unseren dort entstandenen Demo-Produktionen. Wenn ein Album dann floppte wurden die Gründe analysiert und die Weiterentwicklung diskutiert, denn eine einzige erfolgreiche Veröffentlichung konnte damals noch zahlreiche Misserfolge kompensieren. Meine alte Plattensammlung spricht Bände davon, dass erst das 3. oder gar 4. Album (Purple Rain – Prince) bzw. 5. Album (Bochum – Grönemeyer) den Durchbruch brachte. Der feste Glaube an das Potential und die Entwicklungsfähigkeit eines Künstlers musste, durch die wirtschaftlichen Einbrüche der Musikbranche und der dadurch verschobenen Trennlinie zwischen Erfolg und Misserfolg, einer rationaleren Strategie weichen.

Aus ‚Artist Development‘ wurde schon bald Produktentwicklung und der Künstler zum Produkt. Und die digitale Vernetzung, von der Netzgemeinde anfangs noch als Selbstvermarktung gepriesen, führte mittlerweile zu einer Verlagerung großer Teile der Produktentwicklung auf den Künstler.

Mehr denn je muss sich der Künstler heute selbst die Gedanken machen, wie er sich als kommerziell verwertbares Produkt dem Publikum und der Musikwirtschaft gegenüber darstellt und anbietet.

Das beginnt damit, dass ein Künstler nach jahrelanger Ausbildung und ständigem Üben die nötige Expertise erworben hat, sich selbst hinsichtlich seines weiteren Werdegangs zu hinterfragen. Wer bin ich? Was ist meine Künstlerische Identität? Verfüge ich über die körperliche und geistige Bereitschaft der andauernde Weiterbildung und Verbesserung meiner musikalischen Fähigkeiten? Habe ich das richtige qualitative Equipment und die optimalen Instrumente um meine Klangvorstellungen zu realisieren? Sollte ich meinen außergewöhnlichen Gesang, meine besondere Musikalität oder das hohe Niveau meiner Songwriter-Fähigkeiten in den Vordergrund stellen? Bin ich originell, brauche ich vielleicht einen Künstlernamen und gibt es einen Markt für meine Musik? Ein Werber würde diesen Prozess ‚Markenbildung‘ nennen und viel Geld dafür verlangen. Der Künstler verlässt sich häufig auf die Richtigkeit seiner Intuition.

Nun geht es darum das richtige Publikum zu identifizieren und mit dem ständig wachsenden Repertoire bekannt zu machen. Die notwendigen Grundkenntnisse in Aufnahme, Produktion, Engineering und Mastering werden heute meist im Homerecording erworben. Die Performance Fähigkeit wird ausgebaut und die Analyse der Stärken und Schwächen erfolgt meist durch den Freundeskreis, dessen Ehrlichkeit man nur erhoffen kann. So kommt es also nicht nur auf die gute Wahl der geeigneten musikalischen Mitstreiter an, sondern auch auf ein Umfeld das in seiner beratenden Funktion die richtigen Tipps gibt. Das, was das Publikum dann auf Soundcloud zu hören, oder auf YouTube zu sehen bekommt, sollte stringent auf das künstlerische Schaffen abgestellt sein. Der Werber würde diese Schritte als die „Einladung in die Markenwelt“ bezeichnen.

Das inzwischen schon ziemlich unternehmerisch denkende musikalische Talent weiß natürlich auch, dass es seine Reichweite erhöhen muss. Dazu gehört die Bildung eines klaren Images und die Pflege desgleichen. Um die Beziehung zu seinem Publikum herzustellen und zu pflegen, werden gerne soziale Medien wie Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat oder WhatsApp-Gruppen zum Einsatz gebracht. Wer sich darauf versteht seine künstlerische Botschaft gut zu vermitteln, kann in der Peripherie Interesse wecken, auf Konzerte und neue Songs neugierig machen und durch sensibles Eingehen dieses Publikum zu seinen Fans machen.

Als Branche wissen wir, dass abertausende Künstler diese Formen der Selbstvermarktung mehr oder weniger beherrschen. Wir setzen das gradezu voraus. Denn ohne all diese Maßnahmen besteht gar keine Chance auf sich aufmerksam zu machen, geschweige denn eine Veröffentlichung oder auch nur ein Konzert erfolgreich zu verkaufen.

Dabei wissen wir auch sehr wohl, dass mancher Künstler für sich selbst eher spielerische Wege sucht und manch anderer sich ausschließlich vergeistigt in der Musik auszudrücken versteht, hingegen die sprachliche und schriftliche Kommunikation grade nicht beherrscht. Nehmen wir diesen Typus des Künstlers eigentlich noch wahr, der in vergangenen Jahrzehnten nicht selten für Impulse und Innovationen der Popkultur gesorgt hatte?

Auf der einen Seite wissen wir, dass das Internet keinen Künstler breakt, aber andererseits sehen wir in den dort stattfindenden Interaktionen einen Indikator für eventuellen Erfolg. Allerdings reicht der nicht aus, es bedarf eines darüber hinaus gehenden Arguments.

„Bei seinen Auftritten haben die Mädchen nicht nur feuchte Augen…“ oder „Wenn sie die Bühne betritt rasten die Boys schon völlig aus“ sind weiche Argumente, die uns schon glaubwürdiger erscheinen, als ein ‚like‘ im sozialen Netz. Aber um wirklich durchzudringen sollte besser ein TV-Auftritt schon in Aussicht stehen, die Musik mit einem Werbespot verknüpft sein oder wenigstens in einen aussichtsreichen Film verkoppelt sein. Ob solche Entscheidungen auf der Basis der Musik getroffen wurden bleibt nachrangig, denn jede sich bietende Chance ist höher bewertet als ein künstlerisches Gesamtwerk, dem der Marktzugang fehlt. Die digitale Welt der kleinen Kacheln verführt den Konsumenten dazu, nur noch einzelne beliebte Songs begehrenswert zu finden. Der Reiz eines Albums bleibt den Hardcorefans vorbehalten. Um nicht die sogenannte „Katze im Sack“ einzukaufen hat sich der Bandübernahmevertrag gegenüber dem früher üblichen Künstlervertrag durchgesetzt, der heute auch nur als sogenannter 360-Grad Deal zur Anwendung kommt.

Wenn wir nun solch ein Argument entwickelt und auch den richtigen Song dazu haben, dann richten sich die Aktionspläne und Zielsetzungen daran aus.

Es werden außergewöhnliche und zutreffende Werbemittel entwickelt, passende Fotos gemacht, originelle PR-Mitteilungen geschrieben und das ganze graphisch ansprechend verpackt. Mit unseren Business und Management Fähigkeiten haben wir die richtigen Partner an Bord geholt und unser Marketing und Promotion Wissen für On und Offline sorgt für den nötigen Feinschliff. Das Netzwerk wird von einem professionellen Management koordiniert und reibungslos in Herstellung, Vertrieb, Verkauf und AirPlay umgesetzt. Der Verkauf von Tickets, Tonträgern, Datenfiles und Merchandise könnte beginnen, hätten unsere Marktteilnehmer unsere Argumente verstanden.

„Wir spielen Hits, ja, aber wir machen keine Hits“ sagt der Radiosender und unsere Verkaufsstellen schicken das physische Produkt recht bald zurück, denn es nimmt eh nur Platz in seinen übervollen Regalen weg. Die digitale Welt stellt die Umsatzbringer auf ihre Startseiten und selbst interessiert suchende User werden auf die mit hoher Verkaufswahrscheinlickeit erkannten Produkte zurückgeführt.

Unser unternehmerisch denkender Künstler ist längst kein Laie mehr in Finanzen, Rechnungswesen, Publishing oder Urheberrecht und sondiert daher inzwischen alternative Karrieremöglichkeiten, die ihm und seiner inzwischen gegründeten Familie besser gerecht werden können, als auf sein ursprüngliches Talent als Musiker weiter zu vertrauen. Hatte nicht neulich auch jemand ein graues Haar bei ihm entdeckt?

Gegen dieses Szenario eines Totalverlusts versuchen wir unterschiedlichen Musikbranchen zwar durch verstärkten Schulterschluss und mit gut abgestimmter Aktivität entgegen zu treten. Aber wenn es uns nicht gelingt einem Künstler eine stabile ökonomische Basis zu verschaffen, fehlt diese eben auch für unsere Branchen. Dazu werden wir dieser Tage sicherlich die Vorschläge zur Modernisierung des Urheberrechts in Europa diskutieren. Auch das kürzlich gesprochene Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs zur Störerhaftung zeigt in die Richtung, dass der Piraterie Grenzen gesetzt werden und kreativwirtschaftlichen Erzeugnissen eine faire Vergütung zusteht.

Die Zusammenarbeit auch auf die von unserem Wirtschaften profitierenden Branchen auszudehnen, erweist sich jedoch nach wie vor als äußerst schwierig. Bevor wir nun in die Diskussion einsteigen, wie wir die Risiken des Künstleraufbaus gemeinsam minimieren und die Chancen optimieren können, möchte ich den Blick noch einmal aus Künstlersicht beschreiben. Dieser sagt: „Für den Erfolg musst Du zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Leuten am richtigen Ort sein“.

Das vor uns liegende Reeperbahnfestival hat den Anspruch diese Chancen eröffnen zu können.

Und von diesem Musikdialog erhoffe ich mir, dass wir in einer weitergehenden Gemeinsamkeit, mit neuen Ansätzen und Ideen, einem gestärkten Verantwortungsbewusstsein, sowie mit Sensibilität und Tatkraft uns direkt an die Arbeit machen und die Künstlerentwicklung vorantreiben – auch wenn wir in den nächsten Tagen so manchen Künstler erleben werden, der noch nicht das darüber hinausgehende Argument anzubieten hat.