Frank Otto vom Verfassungsschutz ge'brainwashed'

Willy, aber i hab di gwarnt, aufpassen muaßt bei dene, weil des san Gschlagene, und wer dauernd treten werd, der tritt halt aa amoi zruck (Konstantin Wecker, Willy)
Wie eine Beleidigung des Verfassungsschutzes mir mein Weltbild zurück gab

Als Hamburger wurde man dieser Tage, statt friedlichen Weihnachten und einem frohen neuen Jahr, täglich mit ganz anderen Botschaften konfrontiert: „Die schlimmsten Krawalle der jüngsten Geschichte“ und „Hamburgs Sicherheit ist in Gefahr“ lässt ja aufhorchen. Es gab Verletzte – Unzählige und damit Zuviele!!!

Vom „Sturm auf die Davidswache“ und „erschreckender Gewaltbereitschaft“ ist die Rede, weshalb Hamburg auch gleich durch die Einrichtung von Gefahrengebieten international von sich Reden machte – als gäbe es hier Favelas, die nach lateinamerikanischem Vorbild entwaffnet werden müssten.

Der Volkszorn der bürgerlichen Mitte kocht!

Die Empörung galt (und gilt vermutlich immer noch) den ‚Krawallbrüdern‘ der roten Flora, dem schwarzen Block und seit einem MOPO Interview mit Verfassungsschutz-Chef Manfred Murck nun besonders den FC St. Pauli Hooligans.

Ausgerechnet des Vereins, den ich wegen seiner lebendigen und sozialen Fankultur so schätze! Wo ich um eine anständige Spende für den Bolzplatz in der Silbersackstraße gebeten werde, man sich um die im Stadtteil untergekommenen Lampedusa Flüchtlinge kümmert und (um ein ebenfalls grade aktuelles Thema aufzugreifen) seit Jahren der Homophobie im Fußball die rote Karte zeigt?

Deren Mannschaftskapitän im bürgerlichen Beruf ein Polizist ist und ein Spieler aus dem Kader ausschied um ‚Viva con Agua‘ zu gründen; Leute diesen Schlages sollen verantwortlich sein?

Der reißerischen und undifferenzerten Art tritt das Präsidium natürlich solidarisch mit den Fans entgegen und verlangt Beweise, die bisher für diese Behauptung nicht erbracht wurden.

Um mein Weltbild zu vermitteln, muss ich allerdings das Fußballthema hier verlassen und in meine Biographie der Gewalt einsteigen:

Als Kind war ich auf der Grundschule Bandenchef von lauter Hänflingen, die sich versuchten gegenüber einer sowohl zahlenmäßig, als auch sportlich, körperlich überlegenen Bande zu behaupten. In der 3. Klasse kam ein ‚Neuer‘ (Sohn eines Schauspielers) hinzu, der mit seiner sprachlichen Überheblichkeit sofort einen ‚Denkzettel‘ verdiente. Die Keilerei in der großen Pause war verabredet und ich brach ihm dabei (ohne Absicht) den Arm. Jeden darauf folgenden Tag besuchte ich ihn nach der Schule mit schlechtem Gewissen – wir wurden Freunde und er Mitglied meiner Gang.

Als ich im Alter von 10 Jahren auf’s Internat kam wurde ich unterrichtet und erzogen von Leuten, die auf Menschen geschossen hatten, die Nationalitäten angehörten, in deren Länder ich heute mit großer Gastfreundschaft empfangen werde. Es waren sogar Erzieher darunter, die Landsleute auf Grund ihres Glaubens (Juden) ins Verderben geführt hatten (ein Unverbesserlicher musste deshalb später auch quittieren) und ich später als Radiounternehmer mit genau solchem Gläubigen vorurteilsfrei über viele Jahre eine gute Partnerschaft gelebt habe.

Mit ungefähr 14 Jahren war ich ganz egoistisch daran interessiert ein Buch zu lesen, als die ‚Rockerbande‘ des Internats einen opferbereiten Zimmergenossen quälen wollte, der sich gleich abwehrend auf den Rücken warf. Ich sprang von meinem Hochbett, nahm einen der ‚Rocker‘ in den Schwitzkasten und dank des Ehrenkodex der ‚Kampfbereitschaft‘ wurde ‚Mann gegen Mann‘ entschieden, dass dieses Zimmer künftig tabu für Übergriffe ist.

Mein politisches Bewusstsein erwuchs in der Zeit des ‚kalten Krieges‘, als alle Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen der beiden damaligen Supermächte noch auf uns in Deutschland gerichtet waren.

Ich war einer von mindestens 30.000 Leuten pro Anlass, die mit Helmen und Werkzeug ‚bewaffnet‘ den Bauzaun für ein Atomkraftwerk einreissen wollten und sich dabei wenig Gedanken über etwaige Befindlichkeiten auf Seiten der Polizei gemacht haben.

Ich habe miterlebt, dass die RAF, die ‚Bewegung 2. Juni‘ und die ‚roten Zellen‘ ihre Kampfhandlungen offiziell eingestellt haben. Gleiches tat die E.T.A .in Spanien und die I.R.A. in England und Irland. Die gewaltlose Überwindung der deutschen Teilung hatte ich in Frankreich erlebt und auf Grund fehlender Sprachkenntnisse etwa 20 Minuten lang für ‚Science Fiction‘ französischen Autorenkinos gehalten.

Ich hatte schon mit 17 den Kriegsdienst verweigert (da spielte Vietnam eine Rolle für mich) und bin seitdem für Menschenrechte aktiv. Dazu gehört natürlich die körperliche Unversehrtheit als besonders grundlegendes Menschenrecht! Muss man das denn immer wieder betonen? Okay, vielleicht ist das so!

Aber auf jeden Fall besteite ich, dass es ‚Altersmilde‘ ist, wenn ich behaupte, dass wir ALLE noch nie solch friedliche Zeiten erlebt haben, wie es heute der Fall ist.

Zurück zu den Hooligans:

Hooligans gibt’s überall, bei jedem Fußballclub, in der rechten Szene, in der linken Szene und in der bürgerlichen Mitte. Es gibt sie auch bei der Bereitschaftspolizei, da teile ich die Auffassung des ntv-Kommentators Christian Bartlau. Es ist doch gradezu naheliegend, dass besonders junge Männer mit ‚Raufgelüsten‘ sich einen entsprechenden Job bei der Bereitschaftspolizei suchen. In Naturvölkern ist es auch heute noch gängige Praxis, dass der Übergang zur Aufnahme in die Gesellschaft durch eine Initiation erfolgt, zu der Mutprobe, Kriegsspiel und Manneskraft auf Todesrisiko unter Beweis gestellt werden muss. Für diesen genetischen Urcode hat unsere Zivilisation bisher nur ein begrenztes Auffangvermögen.

Ich kenne persönlich einen kurdischen Türken, der auf St. Pauli aufgewachsen und durch Körperverletzungsdelikte aufgefallen ist. Er ist Profi-Boxer geworden, Deutscher Meister, der grade um die Europameisterschaft in seiner Gewichtsklasse kämpft und nebenbei ein Anti-Aggressionstraining absolviert. Klingt absurd, ist aber wahr, und eine Ausnahme für Personen, die sich eher mit körperlicher Präsenz als dem klug geführten Wort behaupten wollen, können oder müssen.

Hier auf facebook hat das Wort den Vorrang. Einer meiner Facebookfreunde hatte seine Freunde dazu genötigt, Solidarität mit der Davidswache mit ‚gefällt mir‘ zu liken, sonst würde er sie löschen. Ich hab‘ um Löschung gebeten, aus persönlichen Gründen (weil ich da mal zusammengeschlagen wurde) und so geschah es auch. Dann rief mich die Presse an, wie ich dazu stünde (gelöscht kann man den Block ja nicht mehr einsehen), da offenbar eine Meute von Leuten meine Solidaritätsverweigerung sofort in das Gegenteil verkehrt hatte und mir eine Rechtfertigung für den (etwaigen) Angriff auf diese prominente Wache unterstellte.

Ohne meine Solidarität einseitig zu bekunden habe ich jedoch meine Spur auf der Solidaritätsseite hinterlassen, was einen Davidswachen-Fan zu einem Kommentar verleitete, man solle den Demonstranten in die Beine schießen. Natürlich kann ich unterscheiden, dass er das nur gedacht, gesagt und nicht getan hat – aber ich nehme das mal als Beleg dafür, dass Kraftmeierei und Hooligans Teil aller politischen Lager sind.

Die Verfassungsschutzerkenntnisse:

Bezüglich einer, von den Medien schon im Vorwege als Krawalldemo veröffentlichten Kundgebung, sieht der Verfassungsschutz die Geschehnisse als eine anlassbezogene Konzentration gewaltbereiter Demonstranten. Zwar spricht er auch die Komponente des ‚Wutbürgers‘ (der sich sonst nichts zu schulden kommen lässt) an, aber ein signifikantes Wachstum der Gewaltbereitschaft ist für ihn nicht erkennbar. Es sind die, die es immer sind, nur diesmal haben mehrere Hintergründe zu dieser ‚Entladung‘ und scheinbaren Rechtfertigung geführt.

Dazu meine Auffassung:

Danke, Sie sind der Erste, der das Geschehene wieder auf eine gesellschaftlich reale Ebene runterbricht. Es war da, es ist da, es ist nun sichtbar.

Es spricht tatsächlich etwas dafür, dass St. Pauli Fans involviert waren, denn es ist auch deren Stadtteil. Die haben mitbekommen, wie mit den Evakuierten aus den Esso-Häusern zur Weihnachtszeit umgegangen wurde (€ 15,- pro Tag in einer Absteige-Hotelsituation ohne Zugriff auf eigenes Hab und Gut), obwohl aus den Spekulationsgewinnen dieser Häuser die Stadtkassen mit Steuergeldern voll sein müssten.

Der Kulturbetrieb ‚Rote Flora‘, der nie Subventionen aus der Stadtkasse erhalten hat, soll geräumt werden?

„Dann wurden polizeiliche Maßnahmen im Bereich der Lampedusa-Flüchtlinge festgestellt“ analysiert selbst der Verfassungsschutz und spricht damit ein tatsächliches FC St. Pauli Thema an.

Wer Bürgerrechte erkämpft und dabei Menschenrechte verletzt, ist auch bei mir nicht diskutabel!

Aber, dass die Nerven blank lagen, lange bevor ‚Gefahrengebiete‘ ausgerufen wurden, mag in den weniger innerstädtischen Stadtteilen nicht so bekannt gewesen sein.

Wir alle leben in der ’schönsten Stadt der Welt‘ – das sagen Piloten im Landeanflug ihren Pasagieren. Die heute als ‚Gefahrengebiet‘ bezeichneten Stadtteile sind vom ‚Guardian‘ zu einem der 5 lebenswertesten Orte der gesamten Welt erkoren worden.

Der Humor, mit dem die Bewohner dieser Stadtteile die Situation aufgefangen haben, ist der beste Beweis dafür.

Lass uns bitte Schluß machen mit Gewaltdiskussionen, mit aller Emphatie für Verletzte auf egal welcher Seite, und uns auf ein problemlösendes, friedliches neues Jahr 2014 freuen.

Hier noch der Link zum Mopo Interview, welches mich zu diesen Ausführungen veranlasst hat:

http://www.mopo.de/nachrichten/verfassungsschutz-chef–ueber-davidwachen-angriff-es-waren-st–pauli-hooligans,5067140,25831404.html